Gewalt durch Migranten: Ein offenes Wort
Von Peter Helmes

Es ist wie mit dem Murmeltier, das täglich grüßt: An großen Festtagen, besonders an Silvester, wissen wir, was uns blüht. Eine bestimmte Sorte von Menschen bedroht die friedliche Gesellschaft, und zwar mit zunehmender Härte.

Alle wissen das, viele erwarten das, es scheint inzwischen „dazu“ zu gehören. Polizisten, Ordnungskräfte, Wachleute und Rettungsdienst werden personell verstärkt. Berichtet wird „mit gebremstem Schaum“; denn bei uns herrscht Duckmäuser- und Beschönigungs-Journalismus vor.

Und die Politiker spielen das bekannte Wiederholungsspiel „Die Empörten“. Aber kaum hat sich die erste Empörung gelegt, verlieren die Parteien das Interesse an dem Thema. Man muß also kein Prophet sein, um vorherzusagen, daß nächstes Jahr oder beim nächsten  Mal wieder junge Männer mit Migrationshintergrund Rettungskräfte attackieren, Steine oder Feuerlöscher werfen werden.

Nach den inzwischen schon üblichen massiven Angriffen auf Polizisten und Feuerwehrleute  werden wieder Politiker ihr bekanntes Verslein aufsagen. Aber zur Wahrheit gehört: Solche Angriffe geschehen regelmäßig, nicht nur an Silvester und in vielen großen Städten – und das schon seit sehr langer Zeit – sondern in Stadt und Land, allüberall. Die überwiegend linken Stadtregierungen sowie die Provinz-Politiker schauen weg, die Repräsentanten der „großen Politik“ tun so, als ob sie über den „lokalen“ Ereignissen stünden. In Wirklichkeit stinkt der Fisch aber vom Kopf her.

Aber die Mäuler reißen sie weit auf – auch wenn sie hilflos wirken. Und singen immer wieder dasselbe Lied:

- Sie betonen stets ihre „Fassungslosigkeit“ ob der ausgearteten Randale
- Sie „verurteilen aufs Schärfste“ die Ausschreitungen
- Und sie fordern eine Strafverfolgung und Bestrafung „mit der ganzen Härte des Gesetzes“.
- Als rhetorisches I-Tüpfelchen folgt dann stets auch die Forderung einer „gründlichen Debatte in der Gesellschaft“.
Wobei ich beim letzten Punkt stets grinsen muß; denn just diese politische Klasse weicht einer solchen Debatte aus oder verhindert sie nach allen Regeln der politischen Schauspielerkunst.

Natürlich äußern sich die Berufsempörer auch über die vermuteten Motive der Gewalttäter. Da kommen stets die eingeübten Vokabeln zur Blüte:

- „Flüchtlingstrauma“
- Falsch verstandene oder falsch angelegte Integration
- Fehlende Integrationsbereitschaft der Einheimischen(!)
- Fehlende Bildungs- und Berufs-Perspektiven
- Vorurteile aller Art
- usw., usw.
Allemal Zeichen von bewußter Blindheit! Denn wer die Augen offen hat, kann genügend Chancen zu einer möglichen Integration erkennen. Er  kann unsere Sprache und auch einen Beruf erlernen.

Es führt aber keine Ausrede an einer Grunderkenntnis vorbei:
Wer sich gar nicht erst integrieren will, wer gar nicht erst die Sprache seines „Gastlandes“ lernt, wer die „fremde“ Kultur und Tradition ablehnt, der gehört hier nicht hin. Wer die Kultur einer muslimischen Welt, in der archaische Männerbilder vorherrschen und das Verständnis für westliche Werte schwach ausgeprägt ist, hier her holen oder gar uns vorschreiben will, ist in unserer Gesellschaft fehl am Platz und wird hier keine Heimat finden. Er sollte schleunigst zurückkehren dahin, von wo er hergekommen ist.

Wenn unsere heimische Bevölkerung regelrecht Schutz suchen muß vor Menschen, die angeblich zu uns gekommen sind, um hier Schutz zu suchen, aber uns bedrohen, dann ist etwas faul mit unserem Verständnis von Willkommens- und Gästekultur. Die Wahrheit ist brutaler: Diese „Gäste“ mißbrauchen unser offenes Land, ja sie verachten es ganz offensichtlich. Mit einer „Armlänge Abstand“ wie Frau OB Reker (Köln) meint, ist denen nicht beizukommen.

Linke „Gutmenschen“ versuchen immer wieder, das Thema totzuschweigen oder mit Rassismusvorwürfen kleinzuhalten, doch das ersetzt nicht die notwendige ehrliche Bestandsaufnahme: Eine bestimmte Gruppe meist junger „Gäste“ – auch wenn sie schon hier geboren sind – haßt dieses Land, solange sie es nicht übernehmen kann. Und das wollen diese „Gäste“ oft – mit Gewalt.

Praktisch braucht es schnelle und abschreckende Strafen und eine Migrationspolitik, die die Interessen der Bevölkerung – der Einheimischen wie der gesetzestreuen Zuwanderer – in den Mittelpunkt stellt. Ganz konkret: Ein Land, das ein solches Problem mit jungen, ungebildeten Männern aus muslimischen Ländern hat, sollte aufhören, immer mehr von ihnen einwandern zu lassen.

Aber dazu wird es wohl nicht kommen. Schon die ehrliche Bestandsaufnahme hat in Deutschland kaum eine Chance. Dafür ist das öffentliche Gespräch über kriminelle Migranten zu verkorkst, zu angstbesetzt. Niemand will zu Unrecht als Rassist oder gar als Nazi gescholten werden, was hierzulande schneller als irgendwo sonst passiert. Also ist man lieber „fassungslos“. Oder man fordert eine Debatte – am liebsten „schonungslos“, mit „klarer Kante“ oder „mit der ganzen Härte des Gesetzes“. Parole, parole, bla, bla, bla…

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Deutschland setzt seinen Ruf aufs Spiel
Gastkommentar von Eric Gujer, Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung» *)

Die Bundesrepublik war einmal ein Land, in dem die Züge pünktlich fuhren. Die Verwaltung war preussisch: manchmal obrigkeitsstaatlich, aber meistens effizient. Das Land in der Mitte des Kontinents besass eine dichte öffentliche Infrastruktur, die zu der zentralen Lage passte. Seine Streitkräfte galten als der stärkste europäische Pfeiler in der westlichen Allianz.
Das war einmal.

Will man mit dem Zug nach Deutschland reisen, begibt man sich auf einen Hindernisparcours. Aber eigentlich ist dieses Wort noch eine Verharmlosung. Solange der ICE nur eine Stunde Verspätung hat, kann man sich glücklich schätzen.

Manche Anschlusszüge verwandeln sich in Geisterzüge. Sie werden angekündigt, treffen aber nie ein. Die Informationen sind spärlich. Die Deutsche Bahn liebt es, mit ihren Passagieren heitere Ratespiele zu veranstalten – auch wenn diesen nicht immer danach zumute ist. Auf der Heimreise nach Hamburg in Basel zu stranden, ist nicht jedermanns Sache.

Steht der Zug, schneeweiss und beinahe eine überirdische Erscheinung, dann doch irgendwann am Gleis, lautet die Ansage todsicher: «Wegen einer Stellwerkstörung zwischen Basel Badischer Bahnhof und Freiburg kann es zu Verspätungen kommen.» Die Deutsche Bahn schätzt die Möglichkeitsform. So behalten ihre Passagiere einen Rest an Hoffnung.

Die Effizienz erodiert, und die Bürokratie triumphiert
Sich mit der Deutschen Bahn zu beschäftigen und keine Satire zu verfassen, ist eine Herausforderung. Aber hat man die Reise einmal überstanden und ist der erste Ärger verraucht, findet man seinen Humor wieder. Je häufiger man dann seine Abenteuer erzählt, umso mehr verwandeln sie sich in Heldentaten, nicht völlig unähnlich einer Zugfahrt in Indien, wenn schon lange vor der Abfahrt in Mumbai alle Wagen so überfüllt sind, dass sich die Reisenden mit einem Stehplatz im Freien begnügen müssen.

Willkommen in der Dritten Welt, willkommen in Deutschland.
Über die Bundeswehr kann man keine Satire schreiben, auch wenn es manchmal als die passendste Form erscheinen mag. Es geht um die Sicherheit Deutschlands, in letzter Konsequenz um Leben und Tod. Kein angemessener Anlass für Witze also.

Aber es muss ein Witz sein, wenn die Bundeswehr in einer Verordnung festlegt, wie gross die Sandkörner auf den Schiessbahnen eines Schiessstandes sind. Es ist sicher ein Witz, dass das deutsche Kontingent in Afghanistan Fahrzeuge stilllegte, sobald der Abgastest abgelaufen war. Einen TÜV gab es in Kunduz nicht. Und es muss ein Scherz sein, dass im Lager in Kunduz die deutsche Mülltrennung peinlich genau eingehalten wurde.

Nein, das sind keine Witze. Es sind reale Beispiele aus dem Alltag. Dass die Streitkräfte nach 1990 regelrecht kaputtgespart wurden, dass man keine neuen Waffensysteme beschaffte und für das bestehende Gerät keine Vorräte an Munition und Ersatzteilen anlegte, ist nur die eine Seite einer traurigen Geschichte.

Die andere Seite ist weniger offensichtlich. Sie lässt sich nicht in süffigen Anekdoten erzählen, ist aber für die Funktionsfähigkeit der Armee nicht weniger verheerend.

Nach dem Kalten Krieg wurde die Bundeswehr von 500 000 Mann auf 180 000 Männer und Frauen verkleinert. Die Streitkräfte schrumpften, aber die Bürokratie blieb gleich. Überdies treffen das Ministerium und seine nachgeordneten zivilen Ämter heute Entscheidungen, die vor 1989 der Truppe überlassen waren. Dieser Wasserkopf lähmt jede Initiative, er verlangsamt alle Prozesse und produziert dabei Vorschriften, die Laien für einen Witz halten.

Natürlich fiel diese Entwicklung nicht nur den Generälen, sondern auch vielen Politikern auf. Sie wollten die Situation verbessern und verschlimmerten sie nur. Seit dem Ende des Kalten Krieges musste die Bundeswehr eine Reform nach der anderen erdulden.

Das Resultat ist Wirrnis. So versuchte Verteidigungsminister Rudolf Scharping, die träge Bürokratie zu umgehen, indem er Aufgaben wie das Management des Fuhrparks an externe Unternehmen vergab. Seine Nachfolger machten das Outsourcing wieder rückgängig. Jeder «Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt» hat neue Ideen und leistet so seinen Beitrag zur Vergrösserung der Orientierungslosigkeit. Ursula von der Leyen jagte Nazis und forderte mehr Familienfreundlichkeit der Streitkräfte. Christine Lambrecht konzentrierte sich auf praktikable Kleidung.

Deutschland sind die eigenen Stärken suspekt
Der Zickzackkurs setzt sich im Grossen fort. Was ist die Aufgabe der Bundeswehr? Auf diese einfache Frage erhielten die Streitkräfte fundamental unterschiedliche Antworten. Zunächst war ihr Auftrag die Bündnisverteidigung, dann die Auslandeinsätze ausserhalb des Nato-Gebiets, inzwischen wieder der Schutz Deutschlands und der Allianz. Je mehr sich die Streitkräfte mit sich selbst beschäftigen mussten, umso weniger waren sie in der Lage, die Aufträge zu erfüllen.

Die Bundeswehr hat inzwischen in der Nato einen Ruf wie die Deutsche Bahn im zivilen Leben. Das Ausland blickt auf die Bundesrepublik und fragt sich, was aus ihren Tugenden wie Tüchtigkeit und Organisationsgabe geworden ist. Ist Deutschland eigentlich noch Deutschland oder längst eine Villa Kunterbunt?

Der allmähliche Abstieg hat sicher etwas damit zu tun, dass die so geschätzten wie gefürchteten deutschen Stärken Mitte der achtziger Jahre als Sekundärtugenden verhöhnt wurden, mit denen man ein KZ betreiben könne. Die Bundesrepublik fand damals zu sich selbst und befreite sich von vielen Traditionen – allerdings auch von manchen guten.
Jede Stadtverwaltung wollte plötzlich locker und mediterran sein und vergass, wie es in einer Amtsstube auf Sizilien wirklich aussieht. Richtig heiter wurde die Stimmung in Berliner Bürgerämtern dadurch nicht, dafür herrschen dort inzwischen süditalienische Verhältnisse.

Zugleich verlor die Politik den Sinn für Prioritäten. Kernaufgaben des Staates wie die öffentliche Infrastruktur und die Verteidigung waren nicht mehr so wichtig. Es sind nicht nur die Sozialdemokraten und die Grünen, die sich in Quotendiskussionen und Genderdebatten verlieren. Auch die Unionsparteien, die sich so viel auf ihre angebliche Regierungsfähigkeit einbilden, tragen das Ihre dazu bei.

So verzettelte sich die viele Jahre für das Verkehrsministerium zuständige CSU mit ihrem Lieblingsprojekt einer Maut für Ausländer. Die EU machte dem Spuk schliesslich ein Ende, während zugleich die Zustände auf der Schiene immer katastrophaler wurden.

In der «Ampel» geht es im gleichen Trott weiter. Statt alle Kraft auf die Sanierung der maroden Schienenwege zu konzentrieren, verschärfte die Koalition die Überlastung durch das Neun-Euro-Ticket. Die Bahn balanciert ohnehin auf vielbefahrenen Strecken am Rande des Kollapses. Dafür muss man nicht noch zusätzlich Geld ausgeben.

Der Staat wird mit Aufgaben überlastet, die er dann nur schlecht erfüllt
Schliesslich blähte sich der Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt auf. Damit richtete sich die Aufmerksamkeit der Politik überproportional auf diesen Bereich. Die Politik debattiert ständig über Hartz IV, Mütterrente, Baukindergeld, Elternzeit, Doppelwumms und Bürgergeld, aber nur sehr selten über die Streitkräfte oder den Zustand der Infrastruktur.

Um das zu ändern, genügt es nicht, eine Zeitenwende auszurufen oder die überforderte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht durch Boris Pistorius zu ersetzen. Es reicht auch nicht, den denkfaulen Pazifismus der Nachwendezeit zu überwinden. Die Politik muss ihren postmodernen Modus spielerischer Beliebigkeit aufgeben.

Der Krieg in der Ukraine sollte allen in Erinnerung gerufen haben: Es gibt Dinge, die kein Witz sind; bei denen es um Leben und Tod geht oder zumindest um die Zukunft des Landes.
Politik muss nicht beständig neue Schlagworte wie «Wissensgesellschaft» der «Chancengesellschaft» als inhaltsleere Kulissen hin und her schieben, sondern ein paar Dinge gründlich tun. Sie sollte der Versuchung widerstehen, jedem Trend und jeder Minderheit hinterherzulaufen.

Man muss den Staat auch nicht durch immer neue Aufgaben überlasten, die er im Zweifel dann doch nicht ordentlich erfüllt. So können die Bürger schon selbst entscheiden, wann sie eine Maske aufsetzen. Sie brauchen keine Gouvernante, um ihr Leben zu führen.

Weniger wäre mehr. Dann würden internationale Beobachter Deutschland auch wieder für Deutschland halten.
(Anm. d. Red.: In diesem Artikel wurde die Original-Schreibweise der NZZ beibehalten.)

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Die Unvollendete: Wahlrechtsreform geplant, aber unsicher
Von Peter Helmes

Deutschland hat das größte Parlament aller demokratischen Länder. 709 Abgeordnete sitzen im Deutschen Bundestag. Dabei hatte der Gesetzgeber einmal eine Größe von 598 vorgesehen. Der Bundestag soll deshalb auf die Regelgröße von 598 Abgeordneten verkleinert und  Überhang- sowie Ausgleichsmandate sollen abgeschafft werden.

Der Deutsche Bundestag ist in den letzten Wahlperioden wegen des in Deutschland einmaligen Zusammenspiels von Erst- und Zweitstimme sowie Direkt- und Listenmandaten immer weiter gewachsen. Seine gesetzliche Größe liegt eigentlich bei 598 Sitzen. Tatsächlich sind es zurzeit aber 736 Sitze, also 138 mehr als eigentlich vorgesehen.

Ein Wahlsystem, das nur Mathematiker verstehen
Daß der Bundestag zuletzt immer größer wurde, hat mehrere Gründe. Einer der wichtigsten sind die Überhang- und Ausgleichsmandate. 299 Abgeordnete kommen über Direktmandate aus den Wahlkreisen, die anderen 299 ziehen über die Landeslisten der Parteien ein. Ergibt zusammen die „Sollgröße“ des Bundestages von 598 Sitzen. Gewinnt eine Partei aber mit der Erststimme mehr Wahlkreise, als ihr nach Zweitstimmenergebnis an Sitzen im Bundestag zusteht, kommt es zu Überhangmandaten dieser Partei. Weil das aber zu einer Verzerrung des Kräfteverhältnisses im Bundestag führt, wurden 2013 nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die sogenannten Ausgleichsmandate eingeführt. Wie viele Ausgleichsmandate für die übrigen Parteien nun aber so ein Überhangmandat nach sich zieht, folgt so komplizierten Berechnungen, daß man schon Mathematik studiert haben muß, um das noch zu verstehen.

„Die allermeisten Wählerinnen und Wähler haben keine wirkliche Vorstellung davon, wie sich ihr eigenes Stimmverhalten in der Methodik unseres geltenden Wahlrechts anschließend in Sitzverteilungen und Mandate umrechnet“, sagt der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Wahlforscher hatten im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 sogar Szenarien entworfen, nach denen der künftige Bundestag sogar aus mehr als 900 Abgeordneten bestehen könnte. Auch wenn das Parlament nicht derart angewachsen ist, hat die Zahl der Abgeordneten einen neuen Rekord erreicht.

Nun soll nach Planungen der „Ampel“ der Bundestag auf die Regelgröße von 598 Abgeordneten verkleinert werden, die Anzahl der Wahlkreise soll bei 299 bleiben. Überhang- und Ausgleichsmandate soll es den Informationen zufolge dann nicht mehr geben. Beide entstehen bislang dann, wenn eine Partei mehr Direktmandate durch Erststimmen erhält als ihr nach dem Anteil an den Zweitstimmen zustehen. Laut dem Entwurf soll die Erststimme in Zukunft „Wahlkreisstimme“ heißen und die Zweitstimme den Namen „Hauptstimme“ erhalten.

Sollte die geplante Reform geltendes Gesetz werden, bedeutet das, daß Kandidaten, die die meisten Erststimmen in einem Wahlkreis bekommen haben, nicht mehr – anders als bisher – automatisch in den Bundestag einziehen.

Denn erreicht künftig eine Partei in den weiterhin 299 Wahlkreisen mehr Direktmandate, als ihr nach der Stimmverteilung durch die Zweitstimmen zustehen, sollen diejenigen Direktkandidaten mit dem niedrigsten Erststimmenanteil in einem Bundesland nicht in den Bundestag einziehen. Nach diesem „Hauptstimmendeckung“ genannten Prinzip kommen nur so viele Wahlkreis-Erstplatzierte zum Zuge, wie der Partei nach ihrem Hauptstimmenanteil im Land zustehen, wie „The Pioneer“ erläutert. Im Ergebnis bliebe der Bundestag konstant bei 598 Abgeordneten.

Kritik am Vorstoß der regierenden Parteien kommt aus der Opposition. Der CDU-Obmann in der Wahlrechtskommission des Bundestags, Ansgar Heveling, drohte angesichts wegfallender Überhangmandate mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. SPD, Grüne und FDP legten die Axt an das personalisierte Verhältniswahlrecht, sagte Heveling dem Fachinformationsdienst Table.Media.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stefan Müller äußerte sich ähnlich. Gewählten Wahlkreiskandidaten das Mandat zu verweigern, sei eine Mißachtung des Wählerwillens und des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips, sagte er dem Portal „The Pioneer“.

Was ist das Problem des bisherigen Wahlrechts?
In Deutschland gibt es seit 1949 ein personalisiertes Verhältniswahlsystem. Durch das Zweistimmensystem können die Wähler ihre Erst- und Zweitstimme gesondert abgeben. Mit der Erststimme wählt die Wählerin oder der Wähler eine Bewerberin oder einen Bewerber im Wahlkreis. Der Kandidat oder die Kandidatin muß nicht von einer Partei auf einer Landesliste aufgestellt worden sein. Die Zweitstimme bei der Wahl zum Deutschen Bundestag ist dagegen maßgeblich für die Sitzverteilung der Parteien.

Was sind die Probleme eines zu großen Parlaments?
Eine größere Anzahl von Parlamentariern hat Folgen für die Steuerzahler: Der Bund der Steuerzahler mahnte auch aus Kostengründen eine Reform an. BdSt-Präsident Reiner Holznagel verwies auf zu erwartende Mehrkosten von mindestens 410 Millionen Euro in den kommenden vier Jahren im Vergleich zu einem Bundestag mit der gesetzlich vorgesehenen Mandatszahl von 598.

Die Bundestagsabgeordneten selbst äußerten die Sorge, daß das Parlament nicht mehr arbeitsfähig sei und daß die Demokratie nicht mehr wirklich funktioniere, wenn der Bundestag zu groß werde. Zu große Fraktionen, Arbeitsgruppen und Ausschüsse erschweren die Abläufe und machen die parlamentarische Arbeit schwerfälliger.
Auch die Platzfrage muß gelöst werden: Ein Erweiterungsbau sollte schon längst fertiggestellt sein, doch nun verschiebt sich der Termin mindestens auf das Jahr 2024.
(Quellen: Dlf, Gudula Geuther, dpa, AFP, Online-Redaktion)

Die Parteien müßten gegen ihre Interessen entscheiden
Zu größeren Veränderungen kommt es erst bei der Bundestagswahl 2025. Dann werden die Wahlkreise von heute 299 auf 280 verringert. So soll eine weitere Vergrößerung des Bundestages verhindert werden. Doch auch dieser geringfügige Einschnitt löst das Problem nicht, sondern schwächt es lediglich ein wenig ab.

Schon jetzt hat Deutschland das größte Parlament aller demokratischen Länder.
Mehr als das amerikanische Abgeordnetenhaus, mehr sogar als das Europaparlament, in dem neben Deutschland noch 26 andere Nationen repräsentiert sind. 709 Abgeordnete sitzen im Deutschen Bundestag, dabei hatte der Gesetzgeber einmal eine Größe von 598 vorgesehen.

Doch eine Reform bedeutet für die Parlamentarier, Hand an die eigenen Mandate legen zu müssen.

„Wir haben hier ein ganz klassisches Dilemma, daß die Parteien im Grunde gegen ihre eigenen Interessen entscheiden müssen“, sagt die Juristin Sophie Schönberger.
„Denn jede Verkleinerung des Parlaments bedeutet, daß jede Partei in absoluten Zahlen weniger Abgeordnete entsenden kann. Das heißt, die Parteien, die auch noch schlechtere Wahlergebnisse erwarten beim nächsten Mal, trifft es besonders hart, aber grundsätzlich muß  jeder abgeben. Und das ist schwierig, sich dazu durchzuringen.“

Einige wenige Überhangmandate können sehr viele Ausgleichsmandate nach sich ziehen. Bei der Bundestagswahl 2013 beispielsweise provozierten 4 Überhangmandate ganze 29 Ausgleichsmandate. Doch dieses Verhältnis ist nicht statisch und läßt sich auch nur schwer prognostizieren. Generell läßt sich nur sagen: Je kleiner die Partei, die die Überhangmandate erringt, desto größer die Zahl der Ausgleichsmandate. Besonders aufblähend wirkt dieser Hebel daher bei der CSU, die ja nur in Bayern antritt und somit bundesweit nur etwa auf sechs bis sieben Prozent kommt. Für jedes Überhangmandat der CSU sind bei der Bundestagswahl 2017 ganze 14 bis 15 Ausgleichsmandate angefallen.

Ein Kompromiß aus dem Jahr 1949
Über das deutsche Wahlrecht heißt es oft, es vereine das Beste zweier Welten: Die Personenwahl des Direktkandidaten im Wahlkreis stellt Bürgernähe her. Die Zweitstimme garantiert, daß die politischen Strömungen der Gesellschaft proportional im Parlament abgebildet werden. Die Wahlkreise werden durch Mehrheitswahl entschieden, die Zweitstimme durch Verhältniswahl. Ein Kompromiß, auf den sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 im Parlamentarischen Rat in Bonn einigten ...

Immer öfter geht die Zweitstimme an kleinere Parteien
In seinen Grundzügen ist das System bis heute erhalten geblieben. 1953 kam das Zweistimmensystem hinzu – vorher wurde nur mit einer Stimme gewählt – und die Art und Weise, wie die Mandate berechnet werden, hat sich immer mal wieder geändert.

Lange Zeit gab es kein Problem: Die Volksparteien gewannen quasi alle Wahlkreise und holten auch bei der Zweitstimme noch 40 Prozent oder mehr. Mittlerweile ist dieses Verhältnis aus dem Gleichgewicht geraten:

Noch immer neigen viele Wähler dazu, mit der Erststimme Vertreter der ehemals großen Volksparteien zu wählen. Mehr als 200 Direktmandate hält die Union seit 2009. Mit der Zweitstimme entscheiden sich aber immer mehr Wähler für eine der kleineren Parteien. Das führt zu vielen Überhangmandaten.

Ein anderer Wachstumstreiber ist die Zersplitterung der Parteienlandschaft. Lange Zeit gab es nur vier Fraktionen im deutschen Bundestag, inzwischen sind es sechs. Je mehr Parteien, desto mehr Ausgleichsmandate.

Alle Themen müssen abgedeckt werden
Aber wieso braucht es überhaupt so viele Abgeordnete im Deutschen Bundestag? Das isländische Parlament hat 42 Abgeordnete, Zypern 50. Könnte der Bundestag seiner Arbeit statt mit normalerweise 600 Abgeordneten nicht auch mit der Hälfte nachgehen?

Im Sinne der Effizienz wäre das schon, findet Scholl. Die Frage wäre allerdings, ob 300 Abgeordnete noch alle Themen abdecken könnten:

„Das Hauptproblem liegt in der Komplexität der Welt, die ganz offensichtlich zunimmt. Und dann ist die Frage, können die einzelnen Abgeordneten, können die einzelnen Fraktionsmitglieder, können die einzelnen Ausschüsse ausreichend über den Gesamtrahmen einen Einblick haben und wissen, was sie da wirklich innerhalb dieses Gesamtrahmens tun? Und je mehr diese Komplexität gewachsen ist in den letzten 100 und 200 Jahren, umso weniger weiß letztlich jeder Einzelne über das Gesamte Bescheid.“

Kaum einer kennt den parlamentarischen Betrieb so gut wie der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert. An die 40 Jahre war er Abgeordneter. Nach wie vor unterhält er ein Büro im Deutschen Bundestag. Er macht sich schon lange für eine Begrenzung der Mandate stark. Schon 2013 bei seiner Antrittsrede als wiedergewählter Parlamentspräsident warnte er vor den Risiken eines unbegrenzten Wachstums der Mandate – unter Beifall aller Fraktionen.

Von der Idee, den Bundestag deutlich zu verkleinern, hält er aber ebenso wenig. Ihrer Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, könnten die Parlamentarier dann nicht mehr gerecht werden:

„Das Wählerverhalten hat zu immer mehr Fraktionen mit immer weniger Mitgliedern geführt. Die würden dann in den Ausschüssen mit einem Mitglied vertreten sein. Und dieses Mitglied soll dann in einem Finanzausschuß oder Haushaltsausschuß oder Wirtschaftsausschuß oder Arbeits- und Sozialausschuß wie viele Fachthemen gleichzeitig gegen wieviel hundert Ministerialbeamten vertreten?“

Ein Abgeordneter vertritt 87.000 Wahlberechtigte
Hinzu kommt: Der Deutsche Bundestag soll knapp 62 Millionen Wahlberechtigte repräsentieren, unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen und politische Richtungen abbilden. Bei der aktuellen Größe des Parlaments kommen auf einen Abgeordneten etwa 87.000 Wahlberechtigte. Betrachtet man dieses Repräsentationsverhältnis, hat Deutschland im internationalen Vergleich keineswegs das größte Parlament, sondern liegt beispielsweise hinter Großbritannien, Frankreich oder Italien.

Je weniger Abgeordnete, desto schwerer ist es auch für Wahlberechtigte, diesen Abgeordneten noch zu erreichen. Der Kontakt zwischen Bürgern und Politikern droht dann vollends verloren zu gehen.

Ein wichtiger Faktor für die Größe des Bundestags ist die Anzahl der Wahlkreise. Viele der bislang diskutierten Reformvorschläge setzen hier an: Grüne, FDP und Linksfraktion hatten einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Zahl der Wahlkreise von bisher 299 auf 250 verringern will. Der Vorschlag, auf den sich die Unionsparteien vor der Sommerpause einigten, sah 280 Wahlkreise vor. Doch die SPD sperrte sich lange dagegen, daß die Wahlkreise angetastet werden.

Die meisten Direktmandate gehen an die Union
Im Kern geht es bei den unterschiedlichen Reformmodellen immer um den alten Konflikt zwischen Verhältniswahl und Personenwahl. Alle Vorschläge der Parteien verlaufen entlang dieser Konfliktlinie. Für die einen hat der Parteienproporz nach dem Zweitstimmenergebnis oberste Priorität, für die anderen die Direktmandate, die mit der Erststimme gewählt werden.

Weil die Union seit geraumer Zeit die große Mehrheit der Wahlkreise im Land gewinnt, will sie auf keinen Fall die Axt an die Direktmandate legen. So zumindest der Vorwurf der politischen Gegner.

Der CSU-Abgeordnete Michael Frieser hält das dennoch für vertretbar:
„Ausgleichslose Überhangmandate sind kein Teufelszeug, die kennt jedes Wahlrecht auf der Welt. Wenn Sie in Griechenland, in Italien oder in Frankreich die Mehrheit der Stimmen erringen, kriegen Sie sogar noch einen Bonus dazu, zumal in Großbritannien. Also, der Sieger kriegt auch noch einen Aufschlag. Warum? Weil eine Demokratie natürlich auch schauen muß, daß sie regierungsfähig bleibt, daß sie in der Lage ist, Mehrheiten zu konstruieren. Und es gibt nun wahrlich kein verfassungsrechtliches Gebot, daß nur die Union Wahlkreise gewinnen darf.“

Der Wählerwille wird verzerrt
Das Modell, auf den sich der Koalitionsausschuß nun geeinigt hat, sieht nur noch drei unausgeglichene Überhangmandate vor. Mehr war mit der SPD offenbar nicht zu machen. Doch auch diese geringere Zahl von drei unausgeglichenen Überhangmandaten hat zur Folge, daß der Wählerwille verzerrt wird. Denn das Zweitstimmenergebnis wird so nicht mehr proportional abgebildet.

Im Gegenzug hat die Union sich auf eine Dämpfung jenes ersten Berechnungsschrittes bei der Zuteilung der Mandate eingelassen, der den Bundestag so aufbläht. Das bedeutet, daß ein Teil der Überhangmandate in einem Bundesland mit Listenmandaten eines anderen Bundeslandes verrechnet werden. Für das Kräfteverhältnis der Parteien im Bundestag macht das keinen Unterscheide. Wohl aber für die Repräsentation der einzelnen Bundesländer.

Jede Reform erfordert Abstriche
Am radikalsten ist das Modell der AfD. Sie schlägt vor, daß eine Partei in einem Bundesland nur so viele Direktmandate bekommt, wie es ihrem Zweitstimmen-Anteil entspricht. Ähnlich wie beim SPD-Modell würden Direktmandate gestrichen – angefangen bei den Wahlkreisen mit dem schwächsten Ergebnis. So würde der Bundestag seine vorgesehene Normgröße von 598 Abgeordneten sicher einhalten. Das Größenproblem wäre damit gelöst, allerdings zu dem Preis, daß womöglich eine große Zahl von Wahlkreisgewinnern nicht in den Bundestag einziehen würde.

Eine reine Mehrheitswahl ist auch keine Lösung
Ist das Deutsche Wahlsystem nicht mehr zu retten? Wäre ein reines Mehrheitswahlsystem wie im angelsächsischen Raum oder ein Verhältniswahlsystem die bessere Lösung?
Beispiel Großbritannien:

Bei der rigorosen Mehrheitswahl im Vereinigten Königreich hat jeder Wähler eine Stimme, es gibt ein Mandat pro Wahlkreis. Der Kandidat mit den meisten Stimmen wird Wahlkreisabgeordneter und zieht ins britische Unterhaus ein. Das ist sogenannte „winner-takes-all“-Prinzip.

Das ist einfach und führt in der Regel zu einem entscheidungsfähigen Parlament und einer stabilen Regierung, die keine Kompromisse mit anderen Parteien eingehen muß.
„Der Nachteil ist, daß das natürlich ein völlig anderes Parteiensystem hervorbringt“, sagt Sophie Schönberger:

„Das führt dann dazu, daß Sie im Wesentlichen zwei große Parteien im Parlament sitzen haben, mit noch so ein paar kleinen regionalen Einsprengseln. Also um ein Mehrheitswahlsystem wirklich einführen zu können, brauchen Sie auch ein Parteiensystem, das auf ein solches Mehrheitswahlsystem angelegt ist.“

Würde der nächste Bundestag nach britischem Wahlrecht gewählt, würde die Union nach derzeitigem Stand 80 bis 90 Prozent der Abgeordneten stellen. Die Stimmen der anderen – im Grunde der Mehrheit der Wähler – würden weitgehend unter den Tisch fallen.

In Großbritannien wollte 2019 die Mehrheit der Bevölkerung in der EU verbleiben und stimmte bei der Wahl zum Unterhaus auch entsprechend ab. Trotzdem gewannen die Brexit-Befürworter, die konservativen Tories, eine satte Mehrheit der Sitze. Die Stimmen der Brexit-Gegner verteilten sich auf zu viele unterschiedliche Parteien. Premier Boris Johnson hingegen schaffte es, die Brexit-Befürworter weitgehend hinter sich zu vereinen.

Mehrheitswahlrecht wäre bei den Deutschen chancenlos
In der deutschen Bevölkerung hätte ein System, das solche Verzerrungen hervorbringt, wohl keinen Rückhalt, meint Demokratieforscher Bernhard Weßels:

„Anders als in den Mehrheitswahlsystemen haben wir in Deutschland die Vorstellung, die möglichst Vielen zu repräsentieren. Was immer heißt: Konsens, Kompromißfindung zwischen möglichst vielen Interessen. Das braucht man im Mehrheitswahlsystem nicht so. Aber die Proportionalwahlsysteme erzeugen das.“

Da unser jetziges System im Hinblick auf das Endergebnis einer Verhältniswahl entspricht, wäre ein Wechsel zu einem solchen reinen Proporzsystem nach Meinung von Experten problemlos möglich. Es gilt in Bezug auf die Mandatsverteilung als besonders gerecht, weil es sehr direkt die Stimmung im Land abbildet. Der Nachteil: Es begünstigt eine Tendenz zum Vielparteiensystem. Dadurch wird es schwieriger, klare Mehrheiten zu bilden, was komplizierte Koalitionsverhandlungen nach sich zieht.
Ein weiterer Nachteil: Die Wahl ist „unpersönlicher“, weil nicht Personen, sondern eine von den Parteien bestimmte Liste gewählt wird.

Aber: Für welches System man sich auch entscheidet, man zahlt immer einen Preis, sagt Norbert Lammert:
„Und jeder, der sagt: laß uns doch mal das bestehende System hinter uns und nach einem ganz anderen und neuen suchen, würde hoffentlich nicht von der Illusion getragen, daß es ja das perfekte Wahlsystem gäbe. Es gibt es eben nicht. Die Notwendigkeit, Prioritäten zu setzen, Kompromisse einzugehen, gelten bei einem reinen Mehrheitswahlsystem, gelten bei einem reinen Verhältniswahlsystem und gelten eben auch bei jedem Versuch, das eine mit dem anderen zu kombinieren.“

Scheitert die Reform vor Gericht?
Vielleicht wird der kommende Bundestag nicht ganz groß wie lange befürchtet. Doch die Mehrheitsverhältnisse können sich schnell wieder ändern. Und so wird auch der kommende Bundestag einmal mehr vor der Aufgabe stehen, das Wahlrecht zu reformieren. Daß die Wahlrechts-Kommission, die noch in dieser Legislatur eingerichtet wird, den Mut zu einer grundlegenden Reform finden wird, ist unwahrscheinlich. Laut Koalitionskompromiß soll es dabei eher um Fragen wie die Absenkung des Wahlalters auf 16 und die paritätische Verteilung von Mandaten auf Frauen und Männern gehen.

Und selbst, ob der aktuelle Kompromiß Bestand haben wird, ist ungewiß. Die Opposition hat bereits angekündigt vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.

Die Ampel will die CSU schrumpfen – um jeden Preis
Die von der Ampel-Koalition vorgesehene Wahlrechtsreform würde den Bundestag deutlich verkleinern – allerdings klar auf Kosten der CSU. Es droht ein Wahlrecht, das die Wähler noch weniger verstehen werden als das geltende Recht. Transparenz sieht anders aus.

Kampf mit harten Bandagen
Das Kalkül von SPD, Grünen und FDP liegt auf der Hand. Man will sich der Bevölkerung als „Fortschrittskoalition“ präsentieren, die den „Bläh-Bundestag“ (BILD) auf Normalgröße schrumpft – und die CSU gleich mit. Das Nein der Union zu diesen Plänen läßt sich dann als übles Festhalten an Pfründen und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Bürgern darstellen, weil diese die vielen Abgeordneten ja mit ihren Steuern finanzieren müssen.

Die Ampel will allerdings weiterhin zulassen, daß auch unabhängige Kandidaten in den Bundestag einziehen, wenn sie die meisten Stimmen im Wahlkreis erhalten. Da soll es dann keine Rolle mehr spielen, ob der unabhängige Wahlkreissieger 43 Prozent erhält oder nur 23. Die CSU könnte also das Bestreben der Ampel konterkarieren, indem sie in bestimmten Wahlkreisen keinen Direktkandidaten aufstellt. Vielmehr könnte der CSU-Bewerber als Unabhängiger antreten – im Wahlkampf von seiner CSU kräftig unterstützt. Mit anderen Worten: Die CSU könnte den Versuch der Ampel, sie per Wahlrecht zu minimieren, konterkarieren. Das könnte ebenso ein Rezept für die CDU in Baden-Württemberg sein, die nach dem Willen der Ampel gleich zwölf Mandate verlieren soll.

Wie immer Karlsruhe auch entscheiden wird: Der Kampf um die öffentliche Meinung wird mit harten Bandagen geführt werden. Und es droht ein Wahlrecht, das die Wähler noch weniger verstehen werden als das ohnehin schon ziemlich unverständliche geltende Recht. Wie heißt es doch so schön im rot-gelb-grünen Koalitionsvertrag: „Wir wollen durch mehr Transparenz unsere Demokratie stärken.“ Beim Ampel-Wahlrecht geht’s dagegen eher um Verdunkelung – und um Verschiebungen zugunsten von Rot-Grün-Gelb.

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Wohnungsmangel: Es geht um das Grundbedürfnis von Menschen
Von Peter Helmes

Die Zahlen sind alarmierend: Es fehlen 700.000 bezahlbare Wohnungen
Aus Berechnungen einer Studie wird erneut belegt, was längst bekannt ist: Viele, die über ein mittleres oder vor allem über ein geringes Einkommen verfügen, können sich Wohnen nicht leisten. Es gibt nicht genug Wohnungen, und mit zugewanderten und täglich neuankommenden Menschen spitzt sich die Lage zu.

Es geht hier immerhin um eines der wichtigsten Grundbedürfnisse von Menschen: um das Zuhause. Deshalb ist die Forderung nach mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau richtig – in der aktuellen politischen Diskussion ist von rd. 50 Milliarden Euro die Rede („Mieterbund fordert ein 50 Milliarden-Euro-Sondervermögen“, Dlf 12.1.23). Wichtig dabei ist, Menschengruppen nicht gegeneinander auszuspielen.

Hier Geborene gegen Hierhergekommene, hier Aufgewachsene gegen Geflüchtete, Deutsche gegen Ukrainerinnen oder Menschen aus Syrien oder Afghanistan. Geflüchtete können nichts für das politische Versagen in der Wohn- und Baupolitik der vergangenen Jahre.

Ampel verschleppt Lösungen
Und die Ampel-Regierung ist gerade dabei, die Probleme nicht schnellstmöglich zu lösen, sondern weiter zu verschleppen. Die Regierung zögert weiter, bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte Vorhaben umzusetzen. Darunter der Plan, daß Mieten in angespannten Märkten künftig weniger stark steigen dürfen.
Oder die vereinbarte neue Wohngemeinnützigkeit. Sie soll kommen. Wann und wie genau – unklar. Zudem könnte die Regierung das kommunale Vorkaufsrecht für Grundstücke endlich rechtssicher machen, damit Kommunen es gegen Investoren einsetzen können.

Erhöhung der Fördersumme für Sozialwohnungen?
Vor allem die FDP blockiert und steht nicht auf der Seite der Mieter. Grüne und SPD können sich dabei nicht durchsetzen. Immerhin: Beim Thema mehr Geld hat Bundesbauministerin Klara Geywitz eine Erhöhung der Fördersumme für Sozialwohnungen ins Spiel gebracht. Das müßte sie aber erst einmal mit dem FDP-Finanzminister Christian Lindner klären, was schwierig genug sein dürfte.

Bausektor gehört zu den größten CO2-Verursachern
Klar ist, Geld allein wird die Probleme nicht lösen. Baukosten explodieren, es fehlen Fachkräfte, und Handwerker sind schwer zu kriegen. Bauen muß effizienter und digitaler werden, ohne dabei Umweltschutz- und Klimaschutz-Standards aufzuweichen. Dabei ist neu zu bauen die eine, den Bestand klimagerecht zu sanieren, die andere Herausforderung. Klar ist: Der Bausektor gehört zu den größten CO2-Verursachern in Deutschland. Wer neu baut, versiegelt Flächen. Gebäude in die Höhe auszubauen, muß dabei verstärkt in den Fokus geraten.

Zeitenwende für bezahlbares Wohnen nötig
Ob dabei der bald beginnende Ausbau des Kanzleramtes für fast 800 Millionen Euro tatsächlich notwendig ist, darf bezweifelt werden. Olaf Scholz könnte das Projekt auf Eis legen und das Geld nicht für Büros in der Machtzentrale ausgeben, sondern etwa für sozialgebundenen Wohnraum. Eine Zeitenwende ist dringend nötig. Nicht nur für Waffen, sondern auch für bezahlbare Wohnungen. (Quelle: Dlf 12.1.23)

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Solidaritätszuschlag verfassungskonform, aber ökonomisch unvernünftig
(Eigener Bericht)

Der Solidaritätszuschlag („Soli“) ist „noch nicht verfassungswidrig“: So hat vor wenigen Tagen der Bundesfinanzhof, das oberste deutsche Finanzgericht, geurteilt.

Wer sich vom Bundesfinanzhof (BFH) die Abschaffung des letzten Rests des deutschen Solidaritätszuschlags („Soli“) erhofft hatte, wurde aber herb enttäuscht: Laut der höchsten Instanz der deutschen Finanzgerichtsbarkeit ist der Soli in den Jahren 2021 und 2022 (auf die sich die Klage bezog) „noch nicht verfassungswidrig“ gewesen. Zwar bleibt für die Kläger der Weg offen, mit einer Verfassungsbeschwerde direkt an das Bundesverfassungsgericht zu gelangen. Aber die Aussicht, daß der Soli dort scheitert, hat sich mit dem BFH-Urteil nicht verbessert.

Unendlicher Aufbau Ost
Doch nicht alles, was verfassungskonform ist, ist ökonomisch sinnvoll und politisch klug. Der Soli wurde erstmals 1991 und dann wieder 1995 „befristet“ eingeführt, um Kosten der deutschen Wiedervereinigung zu finanzieren. Seit 2021 wird er nur noch von Bezügern höherer Einkommen und von Unternehmen erhoben. Er ist damit de facto zu einer Reichensteuer und einer dritten Unternehmensteuer neben der Körperschaft- und der Gewerbesteuer geworden.

Der BFH argumentiert unter anderem, zwar müsse der Staat einen dauerhaften Finanzbedarf über die auf Dauer angelegten Steuern finanzieren und nicht über eine Ergänzungsabgabe, wie sie der Soli sei. Aber ein Mehrbedarf, der eine Ergänzungsabgabe rechtfertige, könne sich auch „für längere Zeiträume ergeben“.
So habe 2020 und 2021 nach wie vor ein Wiedervereinigungs-bedingter Finanzbedarf bestanden, etwa in den Bereichen Rentenversicherung und Arbeitsmarkt. Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zum Solidarpakt II, dem Ende 2019 ausgelaufenen Finanzrahmen für den Aufbau Ost, gebe es nicht.

Es geht um Glaubwürdigkeit
Auch wenn der BFH selbst zeitliche Grenzen andeutet: Wer so argumentiert, wird noch lange Gründe für den Soli finden – manche ostdeutschen Regionen werden möglicherweise auf Dauer strukturschwach bleiben. Doch der große Kraftakt ist längst vorbei, und wer den Steuerzahlern eine „befristete“ Abgabe für dessen Bewältigung auferlegt, sollte diese nicht über Jahrzehnte einziehen. Das ist nicht primär eine juristische Frage, sondern eine der politischen Glaubwürdigkeit.

Die Kläger hatten zudem eine Verletzung des Gleichheitssatzes im Grundgesetz moniert. Aus Sicht des BFH ist die Ungleichbehandlung, die in der Konzentration auf Bezüger höherer Einkommen liegt, jedoch gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Soli an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet seien, sei die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig, hielt er fest.

Nur: Das Prinzip der Leistungsfähigkeit wird bereits dadurch befolgt, daß die Einkommensteuer progressiv gestaltet ist. Wer mehr verdient, führt einen höheren Prozentsatz seines Einkommens an den Fiskus ab. Es gibt keinen Grund, dieser Progression mit einem „Reichen-Soli“ noch ein willkürliches Sahnehäubchen aufzusetzen.

Wettbewerbsfähigkeit nimmt ab
Während die teilweise Beibehaltung des Soli von der letzten schwarz-roten Regierung beschlossen worden ist, hält auch die „Ampel“ daran fest. Lediglich die Liberalen von Finanzminister Christian Lindner plädieren für die vollständige Abschaffung, konnten sich damit als Juniorpartner aber nicht durchsetzen.

Ökonomisch erweist sich die Regierung Scholz damit einen Bärendienst. Immer wieder machen internationale Rankings auf eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands aufmerksam. Laut einer unlängst publizierten Standortstudie, die das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW für die Stiftung Familienunternehmen erstellt hat, ist das Land auf Platz 18 von 21 untersuchten Industrieländern abgerutscht, unter anderem aus Steuergründen.

Die durchschnittliche Steuerbelastung von Unternehmen sei 2021 in Deutschland bei 30 Prozent gegenüber einem EU-Durchschnitt von 20,7 Prozent gelegen, hob das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hervor. Und auch bei der Einkommensteuer zählt Deutschland nicht zu den Tiefsteuerländern.

Wehret den Anfängen
Es ist nicht Sache der Gerichte, die richtigen wirtschaftspolitischen Weichen zu stellen. Es wäre Sache der Politik und damit der Bundesregierung. Stattdessen bestätigt diese mit ihrem Festklammern am „Rest-Soli“, der ihr letztes Jahr satte 12 Milliarden Euro eingebracht und damit bequemerweise den Spardruck gelindert hat, eine alte Erfahrung: Was ein Staat je an Regeln oder Steuern einführt, werden seine Bürger nur mit größter Anstrengung wieder los, auch wenn sie längst unsinnig geworden sind.

Hoffen auf das BVerfG
Bedauerlich ist, daß sich SPD und Grüne in der Ampelkoalition durch das Urteil darin bestärkt fühlen dürften, die Steuerregeln des Grundgesetzes strapazieren zu können, solange nur Bürger und Unternehmen mit der ohnehin höchsten Steuerbelastung betroffen sind. Die FDP wird ihre Koalitionspartner nicht zur Abschaffung bewegen können. Bleibt nur noch die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht.

Es bleibt der Eindruck, daß allzu sparunwillige Politiker nach Belieben zusätzlich zu den Steuern noch Sonderabgaben erheben können, sobald sie mal wieder mehr Geld ausgeben wollen, als es der Haushaltsrahmen ihnen eigentlich erlaubt – oder nur, weil man etwa bei SPD, Grünen und Linken mal wieder das Gefühl hat, daß es ungerecht zugeht in diesem Land.

Die Wirkung schadet diesem Land. Denn dann darf sich niemand wundern, wenn die Bereitschaft schwindet, überhaupt Steuern zu zahlen. Der Soli gehört im Sinne einer auf Vertrauen aufbauenden Finanzpolitik abgeschafft. Dabei sollten die Soli-Zahler nun nicht auf die Verfassungsrichter warten müssen. Das ist Aufgabe der Politiker.

Verkappte Reichensteuer – eine Ohrfeige für die Besserverdienenden
So erweist sich der heutige Soli letztlich als eine verkappte Reichensteuer. Natürlich lassen sich immer noch Kosten der deutschen Einheit vorrechnen, aber wieso diese nur noch von Gutverdienern finanziert werden sollten, hat keine innere Logik. Stattdessen folgte die Teilabschaffung einer politischen Logik: Wen möchte man be- und wen entlasten? Und das ist unlauter. Es kann gute Gründe geben, Gutverdiener höher zu besteuern. Wenn eine Regierung das möchte, dann sollte sie das aber auch zugeben.

Klar, heute sorgen weitere Sonderlasten als die Deutsche Einheit für Haushaltsprobleme. Zum Beispiel muß die Bundeswehr saniert werden, die Energiekosten werden gedeckelt, und - hoffentlich -  bald muß die Ukraine wiederaufgebaut werden. Auch hierfür kann der Bund eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer einführen. Aber ob der richtige Weg dazu der ist, solche Sonderlasten auch nur Besserverdienenden aufzuerlegen, verdient doch ein dickes Fragezeichen. Wenn nur noch Unternehmen und Topverdiener - etwa sechs Millionen Steuerzahler - den Aufschlag zahlen müssen, ist das wie bei der Einkommensteuer eine Ausrichtung am Prinzip der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen. Die Berücksichtigung sozialer Belange sei „zulässig und geboten“, heißt es in dem Urteil mit Bezug auf das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz. Für Verfechter einer höheren Besteuerung von Gutverdienern mag das eine Argumentationshilfe sein, für das Gerechtigkeitsempfinden eben dieser Steuerzahler wirkt dieses Urteil jedoch eher wie eine Ohrfeige.

Und noch eines gehört in diese Argumentation:
Der für höhere Einkommen reservierte Soli birgt eine gewisse Ungerechtigkeit, da zu der geschröpften Klientel auch Arbeitnehmer gehören, die nicht annähernd zu den Reichsten der Republik zählen. Die wirklich Wohlhabenden wiederum tragen keineswegs die größte Steuerlast, gemessen an ihrem Reichtum. Da der Staat für verschlafene Investitionen, inflationäre Sozialkosten und steigende Militärausgaben zusätzliches Geld benötigt, ist er auf neue Einnahmequellen angewiesen. Damit ließe sich auch ein Hebel ansetzen, um mehr soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten.

Aber tatsächlich liegt die Verantwortung gar nicht bei den Gerichten
SPD, Grüne und FDP haben eine politische Lösung des Streits in der Hand. Die Liberalen wollen die Steuer schon lange abgeschafft wissen, Grüne und SPD indes ziehen nicht mit – die Ampel ist hier so weit auseinander, daß es der Solidaritätszuschlag nicht einmal als Arbeitsauftrag in den Koalitionsvertrag schaffte. Ein Blick zurück nährt den Verdacht, daß es um politische Machtspiele und Taktiererei geht. (Quelle u.a.: NZZ)

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Haldenwang – 

der Geheimdienstchef des linken Lagers
Von Peter Helmes

Kein deutscher Beamter kämpft so entschlossen gegen Rechtsextremisten wie Thomas Haldenwang, der Chef des Verfassungsschutzes. Und keiner hat zugleich so viel Verständnis für radikale Klimaschützer. SPD und Grüne sind begeistert. Andere machen sich Sorgen.

Thomas Haldenwang ist ein Phänomen. Noch vor wenigen Jahren kannte den Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes kein Mensch. Er war ein Verwaltungsfachmann aus der zweiten Reihe. Heute wird er als Verteidiger der Demokratie gepriesen, und das nicht von irgendwem. „His Job Description? Protecting German Democracy. Literally“. So lautete die Überschrift eines sehr freundlichen Porträts, das einen Tag vor Heiligabend in der „New York Times“ erschien. Flankierend zum Text ließ die Redaktion Haldenwang auf dem Hambacher Schloß am Rande des Pfälzerwaldes fotografieren. Der Anlaß war eine Podiumsdiskussion vor jungen Leuten.

Der 62-Jährige posiert da mit geöffnetem Hemdkragen an einem der symbolträchtigsten Orte der deutschen Demokratiebewegung und schaut mit ernster Miene in die Ferne. Hier, wo patriotische Studenten, Publizisten und Politiker 1832 die nationale Einheit und bürgerliche Freiheitsrechte einforderten, paßt nun der Beamte Haldenwang aufs Land auf: Das soll das Motiv offenkundig ausdrücken. Aber stimmt es?

Der Retter der (politisch korrekten) Demokratie
Ist der amtierende Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz – so heißt der 1950 gegründete Inlandsgeheimdienst mit Sitz in Köln – wirklich ein Verteidiger der Demokratie? Oder dient er anderen Interessen? Haldenwang selbst sieht sich als Beschützer des großen Ganzen. Das sei seine „persönliche Mission“, sagte er der New York Times.

Extremisten? I wo!
Nicht alle sind so begeistert vom deutschen Geheimdienstchef wie die Leiterin des Berliner Büros von Amerikas führender linksliberaler Zeitung. Nachdem sich Haldenwang bei der Podiumsveranstaltung im Hambacher Schloß in bemerkenswert freundlichen Worten über die linksradikalen Klimaschützer der Letzten Generation geäußert hatte, reagierten vor allem die Innenpolitiker von CDU und CSU verärgert.

Der Verfassungsschutzpräsident hatte die Anhänger der Bewegung, die sich auf Straßen festkleben und Kunstwerke in Museen beschädigen, kurzerhand vom Verdacht des Extremismus freigesprochen. Diese begingen Straftaten, gewiß. Aber letztlich hätten sie doch Respekt vor der Demokratie: „Die sagen: He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen! Ihr müßt jetzt mal was tun!“ (O-Ton Haldenwang)

Respekt vor der Demokratie könne er bei der Letzten Generation beim besten Willen nicht erkennen, wetterte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU. Und der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul von der CDU warnte den Verfassungsschutzpräsidenten davor, die Bewegung zu unterschätzen. Haldenwang habe ja recht, wenn er den Rechtsextremismus als größte Gefahr für die deutsche Demokratie bezeichne. „Aber“, so Reul, „wir dürfen das andere nicht kleinreden.“

Auch Karl-Heinz Paqué, Professor für Internationale Wirtschaft an der Universität Magdeburg und Vorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, zeigte im Gespräch mit dieser Zeitung wenig Verständnis für Haldenwang: „Die Letzte Generation muß sich eindeutig von linksextremen Gruppen und deren Auffassungen distanzieren – und das tut sie nicht.“

Was ein liberaler Ökonom sagt, muß einen Geheimdienstchef nicht bekümmern. Aber wenn er gleich von zwei Innenministern gerüffelt wird, sieht die Sache anders aus. So könnte man zumindest meinen. Haldenwangs Vorgänger an der Spitze des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, war 2018 wegen einer politischen Stellungnahme ins Straucheln geraten und schließlich sogar gestürzt. Er hatte Berichte über eine angebliche „Hetzjagd“ von Rechtsextremisten in Zweifel gezogen, deren zentraler Beleg ein wackliges Video sein sollte, das von einem Account namens „Antifa Zeckenbiss“ ins Netz gestellt worden war.

Was Haldenwang von Maaßen unterscheidet
Doch während Maaßen damals nicht mehr aus den Schlagzeilen herausfand und der Streit über seine Person schließlich sogar die damalige Koalition aus Union und SPD zu gefährden drohte, hielt sich die Aufregung um Haldenwang in Grenzen.

Ein Grund ist sicherlich der unterschiedliche Umgang mit den Erscheinungsformen der politischen Extreme in Deutschland. Wer links ist, dem wird hierzulande viel vergeben. Eine Gruppierung kann die repräsentative Demokratie verächtlich machen, Regierungsmitglieder „symbolisch“ verhaften, das Leben von Verkehrsteilnehmern gefährden und Parteizentralen lahmzulegen versuchen – ihre Wortführer werden trotzdem in Talkshows eingeladen. Täten rechte Aktivisten, was die Anhänger der Letzten Generation und andere selbsterklärte Klimaschützer tun, die Republik stünde Kopf.

Der zweite Grund ist persönlicher Natur. Auf den ersten Blick mögen der ehemalige und der heutige Geheimdienstchef viel gemeinsam haben; beide Männer stammen aus Nordrhein-Westfalen, sie sind fast gleichaltrig, haben Jura studiert, im selben Ministerium Karriere gemacht, und beide sind Mitglied der CDU. Doch in der letzten Gemeinsamkeit steckt auch schon der erste Unterschied.

Maaßen ist schon seit 1978 in der Partei. Sein früherer Stellvertreter Haldenwang wurde erst 2005 Mitglied; das war das Jahr, als Merkel an die Macht kam. Er sei auch ihretwegen eingetreten, hört man. Und während Maaßen Merkels Umgang mit der Flüchtlingskrise verantwortungslos fand und daraus kein Hehl machte, gab es von Haldenwang nie ein schlechtes Wort über die „Willkommenskultur“, bis heute nicht.

Der eine war ein Vertreter jenes konservativen Flügels, der von der Kanzlerin bis zur Bedeutungslosigkeit gerupft wurde. Den anderen kann man als Merkelianer der ersten Stunde bezeichnen. Wohl auch deshalb hatte Haldenwang kein Problem damit, nach dem Sturz seines Vorgängers sowohl die CDU als auch die SPD von sich zu überzeugen.

Ein sehr talentierter Netzwerker
Der heutige Verfassungsschutzpräsident ist ein Beamter, der um seine berufliche Abhängigkeit und um die parteipolitischen Kräfteverhältnisse im Land weiß. Einer, der ihn lange kennt, beschreibt ihn als sehr talentierten Netzwerker, der früh auch den Kontakt zu den Grünen gesucht habe. Warum? An der Partei führt in der deutschen Politik seit geraumer Zeit kein Weg mehr vorbei. Sie regiert in 12 von 16 Bundesländern mit und ist seit 2021 zum dritten Mal auch an der Bundesregierung beteiligt.

Das Verhältnis zwischen Haldenwang und der linken Umweltpartei ist heute gut, fast herzlich. Haldenwang sei ein „ausgewiesener Experte“, der hohes Ansehen genieße, schwärmt etwa Konstantin von Notz. Der Grünen-Abgeordnete, ein Nachfahre preussischer Offiziere, ist Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und damit einer der einflußreichsten Innenpolitiker des Landes. Er überwacht die Arbeit aller deutschen Nachrichtendienste.

Wie lange kennen die Männer sich? Wie häufig tauschen sie sich aus? „Wir haben einen guten, verbindlichen und professionellen Draht im Rahmen unserer unterschiedlichen Rollen“, sagt von Notz. Er sei sich mit dem Geheimdienstchef einig, „daß die derzeit größte Bedrohung für unsere Demokratie und die freiheitlich-demokratische Grundordnung vom Rechtsextremismus ausgeht“. Diese Einschätzung teilt, wenig überraschend, auch Haldenwangs direkte Vorgesetzte, die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser.

Und ihr Beamter liefert. Egal, ob es um völkische AfD-Politiker oder selbsternannte Reichsbürger geht: So öffentlichkeitswirksam wie Haldenwang ist noch kein Verfassungsschutzpräsident gegen die radikale und die extremistische Rechte im Land vorgegangen. Schon bevor er die AfD zum „Verdachtsfall“ für den Verfassungsschutz erklärte, hatte er sie bei einer Pressekonferenz als „Prüffall“ bezeichnet, auch wenn es für Letzteres keine rechtliche Grundlage gab. Die Partei klagte, und das zuständige Gericht gab ihr recht. Haldenwangs Etikettierung sei rechtswidrig und unverhältnismäßig, rügten die Richter. Politische Konsequenzen hatte das Malheur für ihn nicht.

Man kann in Haldenwangs Kurs eine überfällige Korrektur sehen. Als der Nationalsozialistische Untergrund, kurz NSU, zu Beginn des Jahrtausends mordend durchs Land zog, versagte der deutsche Inlandsgeheimdienst auf ganzer Linie. Und auch seither haben Rechtsterroristen immer wieder für Angst und Schrecken gesorgt.

Die Frage ist, ob Haldenwangs Gespür für Gefahren von rechtsaußen möglicherweise zulasten seines Gespürs für andere Gefahren geht. Bei linken Innenpolitikern mag so ein Ungleichgewicht verständlich sein. Beim obersten Verfassungsschützer wäre es heikel. Ginge dessen Loyalität zur politischen Führung so weit, daß sich der Eindruck der Parteilichkeit verfestigte, könnte der Ruf der Sicherheitsbehörden insgesamt in Mitleidenschaft geraten.

Mit seinen warmen Worten über die Letzte Generation mag sich Thomas Haldenwang ganz im Sinne der linken deutschen Regierungsparteien geäußert haben; deren Vertreter kritisieren allenfalls die Mittel der Bewegung, die Ziele finden sie weitgehend richtig. Aber für viele bürgerliche Politiker ist der Geheimdienstchef seither ein Prüffall. (Quelle: NZZ)

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Baerbocks Klimaschutzversprechen: 

Nur leere Worte
Von Peter Helmes

„Es soll so wenig wie möglich geflogen werden.“
Wir sind von Annalena Baerbock (Grüne) ja einiges gewohnt. Zum Beispiel, was ihr manchmal unverständlicher Vortrag oder ihre zusammengeklauten Berichte angeht. In dieses Kapitel gehört auch ihr mit treuen Augen bekundetes Versprechen, als Außenministerin wolle sie zum Reisen verstärkt Züge nehmen und Linie fliegen. Doch daraus wurde nur selten etwas. Nach einem Jahr fällt die Bilanz ernüchternd aus.

Wir erinnern uns: Ministerinnen wie Annalena Baerbock haben ein Problem mehr als andere Kabinettsmitglieder. Denn wie keine andere Partei stehen die Grünen dafür, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Gerade auch durch weniger Flüge. Einige Mitglieder fordern sogar das Verbot von Flugreisen innerhalb Deutschlands. So weit geht die Partei insgesamt zwar nicht, aber der grüne Mindestanspruch lautet: Es soll so wenig wie möglich geflogen werden.

Spitzenpolitiker wie Außenministerin Baerbock stellt das deshalb vor eine heikle Aufgabe, weil ihre Kalender in der Regel eng getaktet sind. Morgens hier, mittags da und abends dort sein zu müssen, ist häufig Alltag bei Spitzenpolitikern. Und das Spielfeld der Außenministerin ist qua Amt die ganze Welt. Zumal in Krisenzeiten.

Baerbock fliegt kaum Linie
Es war deshalb ein mehr als ambitioniertes Unterfangen, als Annalena Baerbock zu Beginn ihrer Amtszeit versprach, die schädlichen Emissionen ihres Jobs in Grenzen zu halten. Vor jeder Dienstreise, so die Zusage aus dem Auswärtigen Amt, solle künftig geprüft werden, ob statt der emissionsintensiven Flugbereitschaft der Bundeswehr auch eine Zugreise infrage komme. Oder wenigstens ein Linienflug.
Notorische Kritiker lästerten schon damals. Und waren durchaus überrascht, daß  Baerbock sofort Ernst machte mit ihrem klimafreundlicheren Reise-Stil. Kurz nach ihrer Vereidigung im Dezember ging es zwar mit dem Flugzeug nach Paris, von dort fuhr sie allerdings mit dem Zug weiter nach Brüssel. Immerhin, ein Anfang schien gemacht.

Inzwischen ist die Außenministerin mehr als ein Jahr im Amt. Und es ist kein Zufall, daß man nicht mehr allzu viel von Baerbocks Bahnreisen gehört hat. Denn nun läßt sich nüchtern feststellen, daß tatsächlich nur dem Anfang ein Zauber innewohnte. Allen guten Vorsätzen zum Trotz ist die Außenministerin schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt.

Nach Informationen von t-online legte Baerboeck in ihrem ersten Amtsjahr mehr als 100 Strecken zurück. Doch nur in den seltensten Fällen fuhr sie mit der Bahn oder nahm einen Linienflug. 

Baerbock fährt kaum Bahn
Das geht aus einer Aufstellung des Auswärtigen Amts hervor. Demnach flog Baerbock nur viermal Linie: Auf entsprechende Hin- und Rückflüge griff sie nur bei ihrem Antrittsbesuch in Spanien im Februar sowie bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York im September zurück.

Noch ernüchternder fällt die Bilanz beim Vorsatz aus, öfter mal die Bahn zu nehmen. Nur zweimal wählte Baerbock für die Strecke Paris-Brüssel den Zug. Einmal beim bereits erwähnten Antrittsbesuch im vergangenen Dezember, ein zweites Mal ein paar Wochen später für ein Treffen der EU-Außenminister. Weitere zwei Bahnreisen fielen nur noch bei ihren Besuchen im Mai und September in die Ukraine an. Aus Sicherheitsgründen fliegen Spitzenpolitiker seit Kriegsausbruch nicht mehr nach Kiew.

Und wie beurteilt das Auswärtige Amt das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit in Sachen nachhaltigeren Reisen? Grundsätzlich würden weiter vor jeder Nutzung der Flugbereitschaft emissionsärmere Alternativen geprüft, heißt es. Doch die enge Terminabfolge der Ministerin erschwere die Umsetzung. „Häufig können aufeinanderfolgende Termine in In- und Ausland nur durch die Nutzung der Flugbereitschaft wahrgenommen werden.“

Immerhin einen Trost gibt es: Die Emissionshandelsstelle beim Umweltbundesamt kompensiert unabhängig vom Verkehrsmittel den CO2-Ausstoß der Dienstreisen. Allerdings nicht nur für grüne Minister wie Annalena Baerbock. Die Regel gilt für alle Dienstreisen der Bundesregierung. Ganz unabhängig vom Parteibuch. Und ebenfalls völlig unabhängig von den eigenen Vorsätzen.

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Was der größte Fund von Seltenen Erden für Europa bedeutet
(Eigener Bericht)

Im Norden von Schweden ist das bislang größte in Europa bekannte Vorkommen an Seltenen Erden entdeckt worden. Das staatliche Bergbauunternehmen LKAB spricht von mehr als einer Million Tonnen an Metallen. Der Fund dürfte auch Folgen für die Rohstoff-Unabhängigkeit Europas und die Energiewende haben.

Wie das staatliche schwedische Bergbauunternehmen LKAB mitteilte, wurde das Vorkommen in der Gemeinde Kiruna etwa 1.000 Kilometer nördlich von Stockholm entdeckt. LKAB betreibt dort eine Eisenmine. Das genaue Ausmaß des Fundes sei aber noch nicht bekannt.

LKAB-Chef Moström erklärte, die Seltenen Erden könnten ein wichtiger Baustein für die Produktion von Rohstoffen werden, die für den Kampf gegen den Klimawandel benötigt würden. Insofern sei die Entdeckung eine gute Nachricht nicht nur für seinen Konzern, die Fund-Region und Schweden, sondern auch für Europa und das Klima.

Förderbeginn wohl erst in mehreren Jahren
Den Firmenangaben zufolge könnte das Vorkommen einen großen Teil des Bedarfs an Seltenen Erden in Europa decken. Allerdings werde es erfahrungsgemäß noch zehn bis 15 Jahre dauern, bis tatsächlich der Markt beliefert werden könne. Moström erklärte, man werde mehrere Jahre brauchen, um das Vorkommen und die Bedingungen zu erkunden und die Seltenen Erden profitabel und nachhaltig abzubauen. Das hänge auch von den Genehmigungen ab. LKAB strebe aber an, noch in diesem Jahr eine Abbaulizenz zu beantragen. Zudem habe man bereits mit den Vorbereitungen begonnen, eine mehrere Kilometer lange und etwa 700 Meter tiefe Trift in das Bergwerk von Kiruna zu treiben, um das Vorkommen genauer zu untersuchen.

Baustein für E-Autos und grüne Energie
Zum ersten Mal wurden Seltene Erden Ende des 18. Jahrhunderts in Schweden entdeckt. Die Elemente umfassen eine ganze Reihe von silberfarbenen, relativ weichen Metallen, die unter anderem für die Produktion von Smartphones und energieeffizienten Leuchtmitteln benötigt werden, aber auch für Photovoltaik-Anlagen, Magnete für Windkraft-Turbinen und Elektroautos – etwa für Batterien und Katalysatoren.

Entsprechend wichtig sind sie für den geplanten Umbau hin zu einem klimafreundlicheren Leben und Wirtschaften. Wegen der zunehmenden Verbreitung etwa von E-Autos und erneuerbaren Energien dürfte der Bedarf in Europa und anderswo in den nächsten Jahren deutlich steigen – nach Schätzungen der EU wird er sich bis 2030 verfünffachen. Europa ist aktuell abhängig von Importen, vor allem aus China.

Seltene Erden – gar nicht so selten, dafür fest in Chinas Hand
Schwedens Energieministerin Busch sagte, der Fund sei entscheidend für die Autarkie der EU und die Unabhängigkeit von Russland und China. Aus der Volksrepublik stammten nach Angaben der Schätzungen der EU-Kommission 2020 mehr als 98 Prozent der Seltenen Erden auf dem EU-Markt, weltweit sind es etwa 90 Prozent. Viele Staaten setzen auf den Import der Rohstoffe aus China, auch weil das Land Seltene Erden bis 2010 sehr günstig verkaufte und der Abbau aufwändig ist und vielfach umweltschädlich betrieben wird.

In den 2010er Jahren versuchte China, den Weltmarktpreis in die Höhe zu treiben. Als Reaktion darauf wurde in mehreren Minen weltweit die Produktion wiederaufgenommen. In den USA wird die Förderung Seltener Erden seit 2018 massiv ausgebaut, nachdem China zuvor im Handelskonflikt mit den Vereinigten Staaten damit gedroht hatte, die Ausfuhr der Metalle dorthin stark zu beschränken. In der EU gibt es seit 2020 Pläne, die Abhängigkeit von China bei den Seltenen Erden zu verringern. Dazu gehören der Ausbau von Bergwerken in Skandinavien, aber auch die Entwicklung von Methoden zum Recycling der Elemente aus Elektroschrott. (Quelle: Dlf 12.1.23)

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
das mag für heute genügen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Nächsten ein glückliches Neues Jahr 2023, zudem den Schutz Gottes und, wie stets an dieser Stelle, uns allen eine bessere Politik.

Mit herzlichen Grüßen und bestem Dank für Ihre Treue,

Ihr
Peter Helmes
Hamburg, 6. Februar 2023


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